RadaR Stand
Radio Darmstadt beim „Tag der Vereine“ 2008

Märchen vom Steubenplatz

Ein beschönigender Offener Brief

Dokumentation

Radio Darmstadt ist ein nichtkommerzielles Lokalradio. Sein Trägerverein wurde 1994 gegründet, um eine Alternative und Ergänzung zu den bestehenden öffentlich-rechtlichen und privaten kommerziellen Hörfunksendern aufzubauen. Menschen und Nachrichten, die im ansonsten durchformatierten Sendebetrieb keine Chance auf Öffentlichkeit besaßen, sollten hier ihren Platz finden. Dies galt für politische Fragen, lokale Themen und musikalische Nischen. Ende 1996 erhielt der Verein für ein derartiges Programm die Sendelizenz. Zehn Jahre später läßt sich die Tendenz beschreiben, daß (lokal)politische Themen immer weniger Platz im Darmstädter Lokalradio finden, während die Musikberieselung zunimmt. Zu diesem Wandel gehört, daß Fragen der Außendarstellung ein wesentlich größeres Gewicht erhalten als das Verbreiten journalistisch abgesicherter Tatsachen. Wer diese neue journalistische Ethik nicht mitträgt, wird aus dem Verein und dem Radio hinausgedrängt. [mehr]

Diese Dokumentation geht auf die Vorgänge seit April 2006 ein. Hierbei werden nicht nur die Qualität des Programms thematisiert, sondern auch die Hintergründe und Abläufe des Wandels vom alternativen Massenmedium zum imageorientierten Berieselungsprogramm dargestellt.

Der Autor dieser Dokumentation ist seit Juni 1997 Redakteur bei Radio Darmstadt und erfreute sich von Januar bis Oktober 2007 eines nur aus dieser Umbruchssituation zu verstehenden, binnenpolitisch motivierten Sendeverbots. Nachdem das Sendeverbot nicht länger aufrecht erhalten werden konnte, wurde es flugs in ein Hausverbot umgewandelt. Als Schatzmeister [1999 bis 2001], Vorstand für Studio und Technik [2002 bis 2004] und Vorstand für Öffentlichkeitsarbeit [2004 bis 2006] kennt der Verfasser die Interna wie kaum ein anderer. [mehr]

Zwangsläufig erscheinen in dieser Dokumentation auch einzelne handelnde Personen mit Klarnamen. Damit sollen einzelne Argumentationsstränge leichter nachvollziehbarer gemacht und Verantwortliche benannt werden. Zur Klarstellung: Eine Diffamierung einzelner Personen oder gar des gesamten Radioprojekts ist hiermit nicht beabsichtigt [mehr]. Das Wesen einer Dokumentation besteht darin, daß sie etwas dokumentiert, nämlich das, was tatsächlich vorgefallen ist.


Zusammenfassung

Im November 2008 verlängerte die hessische Landes­medien­anstalt die Sendelizenz von Radio Darmstadt um weitere vier Jahre. In der zugehörigen Pressemitteilung aus Kassel fand sich folgender Satz:

„‚Im Interesse des nichtkommerziellen lokalen Rundfunks in Darmstadt hat die Versammlung RAdAR Planungssicherheit gegeben. Wir erwarten, dass sich RAdAR und die Medienwerkstatt baldmöglichst einigen‘, so der Vorsitzende der Versammlung, Winfried Engel.“

Einhundert Tage später hatte sich einiges getan, nämlich … so gut wie nichts. Die Dissent – Medien­werkstatt Darmstadt schrieb daraufhin am 21. Februar 2009 einen Offenen Brief an die Mitglieder der Versammlung der LPR Hessen, der auch anderen Medien und Medienanstalten zur Kenntnis gelangte: Unter „baldmöglichst“ verstehen wir etwas anderes!

Kurioserweise antworteten nicht die Adressaten, also die Mitglieder der Versammlung, sondern – RadaR e.V., der Träger­verein von Darmstadts Lokalradio. In einem per E-Mail versandten Offenen Brief an Dissent („an:“), zur Kenntnis an die weiteren Adressaten des Dissent-Briefes („cc:“), bemühte sich RadaR, seine Sicht der Dinge als das einzig Wahre zu verbreiten. Es gibt da nur ein Problem: mehrere in dem RadaR-Schreiben aufgeführte Behauptungen mögen das Image des Senders und seines Träger­vereins schönen, sie gehen jedoch an der Realität vorbei.

Sollte der Rechtsanwalt des Träger­vereins dieses Senders auch diese Dokumentations­seite für Schmähkritik halten, wäre er gut beraten, seiner Mandant­schaft zu empfehlen, in Zukunft Tatsachen und keine nicht belegten bzw. nicht belegbaren Behauptungen zu verbreiten.


Screenshot der Suchfunktion von Radio Darmstadt.Ein Offener Brief ist kein Geheimnis. Insofern ist es seltsam, daß der mit Datum vom 6. März 2009 versehene Offene Brief von RadaR e.V. auch vier Wochen später noch nicht auf der sender­eigenen Webseite zu finden ist. Statt dessen ist er auf der Pinnwand des Bundes­verbandes Freier Radios nachzulesen. Eine sender­interne Publizierung scheint es ebenso noch nicht gegeben zu haben.

Vielleicht ist es auch so, daß man und frau den Namen „Dissent“ nicht auf der eigenen Webseite vorfinden möchte. Wenn wir uns jedoch noch einmal den Kreis der Adressatinnen und Adressaten des Offenen Briefs von RadaR anschauen, dann wird klar, daß weder die sendereigene noch irgendeine andere Öffentlich­keit gemeint ist. Der Offene Brief wurde an Dissent gemailt und der Rest der Welt erhält ihn allenfalls zur Kenntnis („cc:“).

Im Folgenden werde ich den Text näher untersuchen und hierbei herausstellen, daß er neben einigen wolkigen Aussagen kaum substantiierte oder gar wahre Elemente enthält. Gezielt wird an einer subjektiven Wahrnehmung des Geschehens um Radio Darmstadt und seines Trägervereins gestrickt, um die von RadaR ausgemachten Aggressoren herauszustellen. Denn Gewalt sei auch im Spiel. Zumindest läßt der Offene Brief aus dem Steubenplatz derartiges vermuten. Der subtil diffamierende Charakter dieses Schreibens wird deutlicher, wenn wir uns zunächst dem Schluß des Briefes zuwenden.

 

1. Gewalt und Toleranz

Als Unterzeichner des im Namen des Vorstands des Träger­vereins von Radio Darmstadt verfaßten Offenen Briefs fungieren Markus Lang und Günter Mergel. Wer den Brief tatsächlich geschrieben hat, bleibt unklar. Er endet mit folgenden Worten:

„Wir bitten die LPR Hessen deshalb, Radio Darmstadt auch weiterhin zu unter­stützen, damit in Darmstadt die Möglich­keit eines gewaltfreien und toleranten Miteinander der Radio­macherinnen und -macher möglich bleibt. Bedenken Sie, dass Demokratie von Vielfalt lebt.“

Was will uns der Vorstand von RadaR damit sagen?

Es ist nicht die LPR Hessen, welche ein gewaltfreies und tolerantes Miteinander einschränkt. Die hessische Landesmedienanstalt lizenziert ein nichtkommerzielles Lokalradio auf der Grundlage des Hessischen Privatrundfunkgesetzes. In diesem Gesetz steht ebensowenig wie in der 1996 erteilten Sendelizenz, daß Vereine aufgrund ihres gewaltfreien und toleranten Miteinanders eine Frequenz erhalten. Vielmehr – so der Gesetzestext – kann die LPR Hessen

„im Interesse der Meinungsvielfalt in von ihr festzulegenden Verbreitungegebieten Veranstalter nichtkommerziellen lokalen Hörfunks zulassen.“

§40 Absatz 2 geht hierauf näher ein:

„Die Zulassung darf nur einer juristischen Person oder einer nicht rechtsfähigen Vereinigung des Privatrechts erteilt werden, deren Zweck nicht auf Gewinner­zielung angelegt ist und die rechtlich die Gewähr dafür bietet, dass sie unterschiedlichen gesellschaftlichen Kräften Einfluss auf die Programm­gestaltung, insbesondere durch Zubilligung von Sendezeiten für selbst­gestaltete Programm­beiträge, einräumt.“

Hieraus ist ersichtlich, daß es nicht um die Einrichtung eines Kuschel­gruppen­radios geht, sondern um eine Träger­schaft, die sich an geltende Gesetze und Normen hält. Hieran – das zeigen die auch in meiner Dokumen­tation aufgeführten Ereignisse seit 2006 – könnte man und frau mitunter durchaus zweifeln.

Das im Offenen Brief vorzufindende Hochhalten eines gewaltfreien und toleranten Miteinanders ist für Außen­stehende nur dann verständlich, wenn die Geschichte der letzten drei Jahre rekapituliert wird, zumindest was das Geschehen am Steuben­platz betrifft. Da eine ausführ­liche Ausarbeitung dieser toleranten Gewalt­freiheit am Steubenplatz an dieser Stelle nicht relevant ist, will ich es bei einigen „Highlights“ belassen.

Nach dem Verständnis des Vorstandes besteht „Toleranz“ offensicht­lich darin, einer Person ein Hausverbot zu erteilen, die sich geweigert hat, Mitglied im Träger­verein zu werden. Die erteilte Sende­lizenz geht davon aus, daß alle Menschen den gleichen diskriminierungs­freien Zugang zum Sendehaus und den weitgehend von der Landes­medien­anstalt finanzierten Sende­einrichtungen erhalten, egal ob sie Mitglied des Vereins sind oder nicht. In diesem Fall traf es 2007 ein Redaktions­mitglied der damaligen Kinder­redaktion. Als einer der medien­pädagogischen Betreuerinnen und Betreuer ermöglichte er es etwa einem Dutzend Kindern im Alter von 6 bis 12 Jahren, einmal pro Woche ein selbst­bestimmtes Hörfunk­programm zu gestalten.

Im Sommer 2007 beendeten einige dieser Betreuerinnen und Betreuer ihr Studium und zogen aus Darmstadt fort. Der anschließend mit Hausverbot belegte Betreuer blieb übrig und stand in Kontakt mit einer pädagogischen Einrichtung, um das Projekt Kinder­redaktion fortzuführen. Aufgrund des Hausverbots mußte er diese Tätigkeit ruhen lassen. Fazit: Infolge des Hausverbots mußte die Kinder­redaktion mangels pädagogischer Betreuung aufgelöst werden. So sieht die Toleranz bei Radio Darmstadt aus! Anzumerken ist, daß dieser Betreuer weder zu Dissent gehört noch sich irgendeines Vergehens schuldig gemacht hat. Abgestraft wurde er für seine Weigerung, dem Trägerverein des Radios beizutreten.

Ohnehin suggeriert das Schreiben, es gebe nur die drei Hausverbote gegen die Dissent-Mitglieder und es habe sonst keine ernsthaften Probleme gegeben. Tatsäch­lich ist es so, daß es in den Jahren 2006 und 2007 mehr Hausverbote, Sendeverbote und Vereins­aus­schlüsse gegeben hat als in der gesamten vorherigen Vereins­geschichte zusammen­gerechnet. Der neue „tolerante“ Wind, den der seit 2006 gewählte Vorstand verbreitet, ist nicht auf den Rauswurf von Dissent-Mitgliedern beschränkt. Während sich die meisten der Vertriebenen, wie etwa der Betreuer der Kinder­redaktion, verzogen haben, weil sie mit derart undemo­kratischen Strukturen nichts zu tun haben wollten, haben sich drei mit Hausverbot belegte ehemalige Vereins­mitglieder mit anderen Personen zusammen­getan und einen Verein gegründet, der einen Beitrag zu emanzipa­torischer Radio­kultur leisten will. Und daß man und erst recht frau sich gegen Unrecht wehrt, sollte doch eigentlich selbst­verständlich sein …

Zu den „toleranten“ Geschehnissen des Jahres 2006 zählt die Vorbereitung von zwei der ersten Hausverbote. In jedem demokratischen Rechtsstaat ist es üblich, den „Angeklagten“ nicht nur eine Anklage­schrift zukommen zu lassen (mehr noch: sie wurden gezielt dahin­gehend desinfomiert, es gehe „nur“ um eine Abmahnung), sondern sie vor ihrer Aburteilung auch anzuhören. Diese Mindest­standards eines ordnungs­gemäßen Verfahrens wurden bewußt außer Kraft gesetzt. Die hier vertretene Rechtsauffassung wurde auf der Vorstandssitzung am 13. September 2006, auf welcher die Ausschlüsse satzungs­widrig unter Ausschluß der Öffentlich­keit beschlossen wurden, sehr treffend formuliert. So wurde einer der beiden Auszu­schließenden ihr Verhalten auf einer vorange­gangenen Programm­rats­sitzung vorgehalten.

„Klar, man könnte ja sagen, wir haben das Recht zu schweigen. Gut, dann haben wir aber auch das Recht, Sanktionen zu verhängen. Das unterstützt bestimmt nicht den Vereinsfrieden, wenn man schweigt.“

Das geheim gehaltene Protokoll dieser Vorstands­sitzung ergänzt: „Benjamin Gürkan sagt aus, das für ihn die Faktenlage klar wäre und es bewusst kein Gespräch mit beiden gegeben hätte, weil diese sich für ein Gespräch verweigern.“

Die Aussage stimmt zwar nicht, aber wir lernen daraus: Schweigen ist Aggression, und ein Hausverbot ist Toleranz.

Soviel vorerst zum zuweilen eigenwilligen orwellesken Sprachstil aus dem Hause RadaR. Hierbei wird darauf gezählt, daß die Adressatinnen und Adressaten ihres Offenen Briefes (also die „cc:“) die Tatsachen nicht kennen, ignorieren oder lieber nicht wissen wollen. Eine Haltung die nicht nur in Landes­medien­anstalten und im Sendehaus von Radio Darmstadt, sondern in weiten Teilen der Gesellschaft verbreitet ist. Allerdings fördern die berühmten drei Affen weder Demokratie noch Toleranz.

Tolerant war es beispiels­weise auch, zwei Menschen im Januar 2007 ein Sende­verbot zu erteilen. Nicht etwa, weil sie in ihren Sendungen gegen geltendes Medienrecht verstoßen hätten. Es ging hier nicht um die bei Radio Darmstadt grassierenden Plagiate. Nein, der Grund war einzig und alleine, daß man und frau ihre Stimmen nicht mehr auf dem Sender hören wollte. So wurde ausdrück­lich bestimmt, daß auch „Konserven“ aus der Frühzeit des Radios mit den Stimmen der beiden mit Sendeverbot belegten Menschen nicht gesendet werden dürfen. Dies kommt einer damnatio memoriae ziemlich nahe. Ein Schreiben der LPR Hessen, das klarstellte, daß ein Hausverbot alleine kein Sendeverbot rechtfertige, wurde ganz gewaltfrei neun Monate lang ausgesessen. Im Oktober 2007 mußten zwei Bedienstete der LPR Hessen zu einem sehr eindringlichen persönlichen Gespräch ins Sendehaus kommen, um den Verantwort­lichen des Senders und seines Träger­vereins zu verdeutlichen, daß die Lizenz­verlängerung bei Beibehaltung dieser Sende­verbote in Gefahr sei.

Auf derselben Programmrats­sitzung erhielt der Schreiber dieser Zeilen ebenfalls ein ganz und gar tolerantes Sendeverbot, nachdem fünf Tage zuvor ein zweiter Versuch gescheitert war, mich aus dem Verein auszu­schließen. Offiziell begründet wurde dies mit meiner Weihnachtssendung 2006. Monate später rückte das Vorstands­mitglied Markus Lang mit der Wahrheit heraus. Laut Frankfurter Rundschau vom 6. November 2007 soll er gesagt haben: „Kuhl habe Sendeverbot gehabt, weil er nach seiner Abwahl aus dem Vorstand gegen den Verein gearbeitet habe.“ Das hatte Markus Lang dem Programmrat neun Monate zuvor jedoch anders erzählt. Auch hieraus wird deutlich, daß nicht etwa berechtigte Vorwürfe, sondern allein ein intolerantes Gebaren der Verant­wortlichen zum Sendeverbot geführt hat.

Vorgeschoben wird seitens dieser Verantwortlichen „die Mitgliedschaft“. Diese habe auf ihren Mitglieder­versammlungen beschlossen und bekräftigt, bestimmte Personen weder im Verein noch im Sendehaus tolerieren zu wollen. Es ist schon bemerkenswert, wie selbst­verständlich Exklusion bei Radio Darmstadt praktiziert wird. Man mag – aus welchen Gründen auch immer – bestimmte Personen nicht mehr sehen und sucht sich die erstbeste Gelegen­heit, diesen Wünschen Taten Folgen zu lassen. Ein toleranter Verein würde Mitglieder auch dann tolerieren, wenn man und frau grund­sätzlicher anderer Ansicht ist. Dieser Verein handelt nach dem Motto, und so wurde es auch auf einer Mitgliederversammlung unwider­sprochen geäußert: was interessiert uns das Recht – wir sind die Mehrheit. Worin dann noch der Unterschied zu Wünschen aus bestimmten Bevölkerungs­gruppen besteht, als Deutsche unter sich bleiben zu wollen, ist mir nicht ersichtlich. Dabei ist der Träger­verein von Radio Darmstadt keine fremden­feindliche Organisation. Aber, wie ich finde, manche Parallelen zum wirklichen Leben sind ungemein frappierend.

Wie weit die „Toleranz“ selbst unter den Vereins­mitgliedern im Sendehaus geht, mag folgender Vorfall belegen. Schon im November 2006 sollte der Verfasser dieser Zeilen aus dem Verein ausge­schlossen und sein Job fristlos gekündigt werden. Weil gerichts­feste Gründe fehlten, wurden Beschuldigungen konstruiert, die ich dann „glaubwürdig“ zu widerlegen hatte. Innerhalb des Vorstandes war das Abstimmungs­verhalten vorher abgesprochen worden. Die beiden Vorstands­mitglieder, die das drängendste Interesse hatten, mich loszuwerden, würden ohne größere Debatte für Ausschluß und Kündigung stimmen. Drei weitere Vorstands­mitglieder, denen die konstruierten Vorwürfe nicht ausreichten, würden sich enthalten und damit nach außen hin eine weiße Weste behalten. Beim Vorstands­mitglied Niko Martin war klar, daß er sich diesem Unsinn verweigern würde. Und so kam es auch – fast. Nachdem Niko Martin den absurden Charakter der Veranstaltung thematisiert hatte, fiel eines der Vorstands­mitglieder, das sich enthalten sollte, um. Ein böser Fehler! Seine eigene Clique muß ihm ziemlich zugesetzt haben, jedenfall so sehr, daß er selbst nur wenige Tage später ein eigenes Ausschluß­verfahren gegen mich beantragte. Der Ausschlußantrag begann mit dem rechts­staatlich sehr toleranten Vorwurf, er habe meine Wohnung nicht betreten dürfen. Gilt das Grundgesetz, hier Artikel 13, bei RadaR nicht mehr?

Mit dieser einleitenden „Fingerübung“ sind wir nun wohlgerüstet, den zum Teil selbst­entlarvenden Sprach­duktus besser verstehen zu können.

 

2. Der Vermittlungsausschuß

Anstatt nun zu sagen, wir, also Günter Mergel und Markus Lang, wollen nicht, daß die mit Hausverbot belegten Dissent-Mitglieder wieder ins Sendehaus zurückkehren können, wird eine Nebelwolke, ja fast schon eine ganze Nebelbank aufgefahren. Der Vermittlungs­ausschuß wird angeführt, um die Befriedung des Vereins nachzuweisen. Der Programmrat wird vorgeschoben, um einen Antrag auf Redaktions­gründung seitens Dissent zu desavouieren. Überhaupt ist es ja „die Mitglied­schaft“, die das alles so haben will. Fragt sich nur, wer die Mitglied­schaft mit ähnlich halbgaren, um nicht zu sagen: falschen und haltlosen Informationen „füttert“, wie wir sie im Offenen Brief des Vorstands von RadaR vorfinden.

Der folgende Wortschwall sagt eigentlich schon alles:

„Ein deutliches Zeichen ist hier auch die Tätigkeit des Vermittlungs­ausschusses, welcher für die Konflikt­schlichtung im Verein zuständig ist. Seit Bestehen der Hausverbote musste der Vermittlungs­ausschuss nicht mehr aktiv werden, in den vorherigen Jahren gab es dagegen zahlreiche Vermittlungs­verfahren mit entsprechender Beteiligung der bekannten Personen.“

Ein Vermittlungs­ausschuß, der dadurch tätig ist, daß er nicht mehr aktiv wird, ist schon eine seltsame Sache.

Wer sind die „bekannten Personen“? Sind sie in den heiligen Hallen am Steubenplatz schon derartige Unpersonen, daß ihre Namen nicht mehr genannt werden dürfen? Oder fürchtet der Verein bei Nennung von Klarnamen in einem Offenen Brief eine Anzeige wegen übler Nachrede? Immerhin findet derzeit (Stand: März 2009) eine zivil­gerichtliche Auseinander­setzung um eine derartige Schmäh­kritik vor dem Amtsgericht Darmstadt statt, und nach der öffentlichen Verhandlung steht zu erwarten, daß RadaR hier eine rechts­staatliche Lektion erhält. Siehe hierzu die Artikel im Darmstädter Echo und in der Frankfurter Rundschau.

Im übrigen ist die Behauptung auch selbst unwahr. In der Tat war der Vermittlungs­ausschuß Ende 2006 und Anfang 2007 sehr bemüht darum, gezielt hoch­gekochte Konflikte durch sachlich geführte Gespräche unter den Beteiligten zu schlichten. Während er hierbei in den Konflikten mit den „bekannten Personen“ erfolgreich war, verweigerten ausgerechnet Vorstands­mitglieder die Zusammen­arbeit mit diesem Vereins­gremium.

Immerhin wurde damals noch darauf vertraut, daß sich Konflikte im Verein durch ein klärendes Gespräch lösen lassen. Diese Gesprächskultur war jedoch offensichtlich unerwünscht. Das damalige Vorstands­mitglied Niko Martin wurde von seinem Kollegen Benjamin Gürkan mehrfach angemacht, weshalb er denn immer nur reden wolle. Man müsse handeln. Entsprechend wurde ein erfolgreich verlaufenes Vermittlungs­verfahren, das zwei mit Hausverbot belegte Dissent-Mitglieder mit den beiden Sprechern der Musik­redaktion im März 2007 durch­führten, nachträg­lich von zwei Vorstands­mitgliedern sabotiert und nicht anerkannt. Ein entsprechendes Schreiben des Vorstands­mitglieds Susanne Schuckmann liegt mir vor. Das Ergebnis, nämlich Frieden, war offen­sichtlich nicht erwünscht, denn „entsprechend bekannte Personen“ sollten ganz und gar tolerant aus dem Verein entfernt bleiben.

Im November 2006, also nach den ersten Hausverboten, beschwerte sich ein Redaktions­sprecher beim Vermittlungs­ausschuß über ein Vorstands­mitglied. Dieses Vorstands­mitglied verweigerte die Vermittlung. Kurze Zeit später ereilte den Redaktions­sprecher ein Hausverbot.

Im Dezember 2006 bat ein anderes Vereins­mitglied den Vermittlungs­ausschuß um Vermittlung mit einem anderen Vorstands­mitglied. Auch dieses Vorstands­mitglied verweigerte die Vermittlung. Ebenso erfolgte hier einige Monate später ein Hausverbot gegen das um Vermittlung ersuchende Vereins­mitglied.

Auch zwei der im September 2006 ausgeschlossenen und mit Hausverbot belegten Vereinsmitglieder riefen den Vermittlungs­ausschuß an. Auch hier verweigerte sich der Vorstand der Vermittlung.

Welchen Wert hat es hier noch, den Vermittlungs­ausschuß anzurufen, wo doch Vorstands­mitglieder bestehende Konflikte einfach aussitzen können? Es kommt aber noch „besser“.

Im April 2007 wurden drei Vereins­mitglieder in den Vermittlungs­ausschuß gewählt, die als wenig vertrauens­würdig gelten müssen. Der eine unter­stellte einem ehemaligen Vorstands­mitglied die Zuarbeit für den Staats­schutz, die zweite ging noch einen Schritt weiter und machte daraus eine Zuarbeit für den Verfassungs­schutz. Selbst­verständ­lich gab es hierfür außer wilden Gerüchten keinen Beleg. Die dritte war im Verein einschlägig dafür bekannt, verleumderische Behauptungen über ihr mißfallende Personen in die Welt zu setzen. Ein solcher Vermittlungs­ausschuß besitzt schwerlich das Vertrauen der Mitglied­schaft. Kein Wunder, daß er seit einiger Zeit nicht mehr angerufen wird.

Als sich im Mai 2008 ein Vereins­mitglied von einem Vorstands­mitglied beleidigt fühlte (meiner Ansicht nach vollkommen zu Recht), wurde ihm vorgehalten, den Vermittlungs­ausschuß nicht angerufen zu haben. Dieses Vereins­mitglied hatte aufgrund der ihm unterstellten Zuarbeit für bzw. Zusammen­arbeit mit dem Staatsschutz und/oder dem Verfassungs­schutz keinerlei Vertrauen in die Arbeit des Vermittlungs­ausschusses. Statt dessen rief er die professionelle Einrichtung eines Schieds­gerichts im Heimatdorf des Vorstands­mitglieds an. Hierüber beschwerte sich das Vorstands­mitglied Susanne Schuckmann am 2. Mai 2008:

„[…] möchte ich Sie auffordern, Herrn M. über den normalen Schlichtungs­weg bei RadaR e.V. aufzuklären. Der erste Weg sollte zum Vermittlungs­ausschuß führen. Jedem Mitgied [sic !] sind die eindeutig geregelten Wege bei Streitereien etc klar. Auch Sie sollten diese Wege eigentlich kennen.“

Hier zeigt sich deutlich, daß durchaus ein Handlungs­bedarf für den Vermittlungs­ausschuß bestanden hat! Ein Handlungs­bedarf, der im Offenen Brief jedoch unter­schlagen wird. Statt dessen wird uns eine heile Welt am Steubenplatz verkauft. Bemerkenswert an den letzten bekannten Fällen, in denen der Vermittlungs­ausschuß angerufen wurde, ist, daß nicht die „bekannten Personen“ involviert waren, sondern die Vorstandsriege, die derzeit den Kurs angibt. Das verschweigen uns Markus Lang und Günter Mergel wohl­weislich.

Für die ruf­mörderische Tätig­keit gibt es genügend Zeuginnen und Zeugen. Für die Behauptung der Zuarbeit für den Verfassungsschutz existiert ein ausführliches Gedächtnisprotokoll eines derart Angequatschten. Für das vereins­interne Geschichten­erfinden des dritten Mitglieds des 2007 gewählten Vermittlungs­ausschusses verweise ich auf eine eigene Dokumentationsseite.

 

3. Klagen über Klagen

Den Beginn des Offenen Briefes von RadaR bildet ein Lamento: Mitglieder von Dissent würden gegen ausgesprochene Hausverbote klagen, zahllose Briefe seien mit haltlosen Anschuldigungen an die Presse, die LPR Hessen und andere Landes­medien­anstalten gegangen. „Bisher haben sich diese Anschuldigungen immer als heiße Luft erwiesen“, so die Unterzeichner Markus Lang und Günter Mergel.

Ist es etwas Verwerfliches, gegen ein Hausverbot zu klagen und ein Gericht entscheiden zu lassen, ob es aufrecht erhalten werden kann? Ich dachte immer, so funktioniert ein Rechtsstaat.

Die Klagen gegen die ausge­sprochenen Hausverbote ergingen auf Empfehlung der LPR Hessen. Diese sah sich nicht in der Pflicht, medien­rechtlich gegen die Ein­schränkung der Zugangs­offenheit vorzugehen, die Anfang 2008 offenkundig vorlag. Statt dessen verwies sie auf den Weg der Zivilklage. Man könne doch einem Verein keine Lizenz verweigern, gegen den keine rechtlichen Schritte hinsichtlich der Hausverbote ergriffen werden. Bei einem Runden Tisch im April 2008 in den Räumen von Hessens Landes­medien­anstalt hatten die Vertreter von Darmstadts Lokalradio zudem so argumentiert, daß, wer nicht klagt, die Berechtigung der Hausverbote akzeptiere.

Man argumentiert, wie man es gerade braucht: Wird nicht geklagt, so verweist RadaR darauf, daß man wohl im Recht sei, denn sonst würde ja geklagt werden. Wird geklagt, ist es auch wieder nicht recht. Das ist dann wohl eine Form von Double Bind am Steubenplatz.

Im übrigen sei darauf verwiesen, daß es drei Mitglieder des jetzigen Vorstandes waren, die als erste überhaupt im Sommer 2006 Rechtsmittel eingelegt haben. Tolerant wie sie waren, akzeptierten sie die Wahl eines ihnen nicht genehmen Vorstands­mitglieds auf der Mitglieder­versammlung nicht und riefen hierzu das Register­gericht an. Im ersten Anlauf scheiterten sie, aber das ließ ihnen keine Ruhe. Sie inszenierten den negativen Ausgang einer im Vereinsrecht nicht vorgesehenen „Bestätigung“ und bearbeiteten anschließend das Register­gericht solange, bis es ihren Einlassungen folgte und das Vorstands­mitglied aus dem Vereins­register strich.

Soweit mir bekannt, ist der Rechts­anwalt des Träger­vereins von Radio Darmstadt damit beauftragt worden, selbst klagend tätig zu werden. Es scheint so, als gelte in den Augen des Vereins das Klagerecht nur für den Vorstand des toleranten Vereins, nicht jedoch für seine (ehemaligen) Mitglieder.

 

4. Haltlose Anschuldigungen

Es verwundert nicht, wenn wir hier keine dieser laut Offenen Brief angeblich haltlosen Anschuldigungen präsentiert bekommen, geschweige, weshalb sie „immer“ haltlos gewesen sein sollen. Schattenboxen.

Meine Dokumentation zu den Geschehnissen in Darmstadt seit 2006 ermöglicht eine unabhängige Sicht der Dinge. Die dort vorgestellten Ereignisse werden durch Dokumente unterfüttert. Weil dem Verein nicht gefällt, was dort mit seinen eigenen Dokumenten belegt wird, hat er mir eine Unterlassungs­erklärung zukommen lassen, die ich selbst­verständlich nicht unter­schrieben habe. Was jedoch bedeutsamer ist: Seitens des Senders oder des Träger­vereins liegt auch anderthalb Jahre nach der Erst­veröffentlichung weder eine Bitte um Richtig­stellung noch eine Klage auf Unter­lassung unwahrer Tatsachen­behauptungen vor. Das sollte uns zu denken geben. Könnte das daran liegen, daß die Fakten dieser Dokumentation unstrittig sind?

Ich präsentiere Fakten oder begründe meine Annahmen und Ausführungen, während Markus Lang und Günter Mergel ihre Behauptung, bisherige Anschuldigungen hätten sich „immer als heiße Luft erwiesen“, gar nicht erst zu belegen versuchen.

 

5. Verbesserte Qualität, mehr gehört

Alsdann behauptet RadaR, nach einem personellen Wechsel im Vorstand im Jahre 2006 habe die Sende- und Programm­qualität in einer überschaubaren Zeit (in welcher eigentlich?) „stark“ zugenommen, „viele alte Hörerinnen und Hörer“ hätten „wieder zurück­gewonnen werden“ können, „und neue Hörerinnen und Hörer fanden einen Zugang zu Radio Darmstadt“.

Nun liegen weder eine Untersuchung zur Sende- und Programm­qualität noch eine Reich­weiten­untersuchung vor, welche diese beiden Behauptungen stützen könnten.

Was bedeutet „viele“? Drei, dreißig, dreihundert? Keine und niemand kann es wissen. Und wieviele sind seither verloren­gegangen? Auch dies ist nicht klar. Aber es gibt Hinweise darauf, daß der Zuspruch zu Darmstadts Lokalsender abgenommen haben könnte – und weshalb das dann so ist.

So hat die Zahl der Sendenden signifikant abgenommen. Waren es 2005 einer internen Erhebung zufolge noch etwa 220, so sind es derzeit etwa fünfzig weniger. Hier reicht ein Durchzählen der auf dem Sender zu hörenden Mitglieder der verschiedenen Redaktionen als Beleg aus. Das soll nicht heißen, daß nicht neue Sendende hinzuge­kommen sind. Aber sie können die Lücken nicht schließen, welche die auch mit der Vorstands­politik begründete Selbst­auflösung der Frauen­redaktion im Frühjahr 2007, die durch ein Hausverbot ausgelöste Auflösung der Kinder­redaktion im Sommer 2007 und die Zerschlagung der Redaktion „Radiowecker“ im Herbst 2006 hinterlassen hat. Auch die kurzzeitig existente Party-Redaktion ist wieder Geschichte. Dies alles ist nach dem im Offenen Brief so genannten „personellen Wechsel im Vorstand 2006“ geschehen.

Screenshot der Webseite von Radio Darmstadt.Über die Zahl der Vereins­mitglieder läßt sich mangels robuster Datenbasis nur spekulieren. Doch hier gibt es aussage­fähige Hinweise. Anfang 2006 hatte RadaR noch leicht über 600 Vereinsmitglieder, auf dem Programm­flyer für Februar 2008 war von über 550 die Rede, im Oktober 2008 nannte der Programm­flyer noch mehr als 500. Eine nicht geringe Zahl von Vereins­mitgliedern hat aufgrund des jetzigen Vorstands­kurses den Verein verlassen, mir liegen einzelne begründete Austritts­erklärungen vor. Wenn wir davon ausgehen, daß in den Jahren bis 2006 jährlich etwa 80 Menschen den Verein verlassen haben (natürliche Fluktuation), jedoch seit Antritt der jetzigen Vorstands­riege wohl kaum mehr als 50 neue Vereinsmitglieder insgesamt hinzuge­kommen sein dürften, dann scheint die Zahl 500 durchaus realistisch. Menschen, die den Verein verlassen, gehen mit ziemlicher Sicherheit auch als Hörerin und Hörer verloren.

Auf der sender­eigenen Webseite werden uns weitere Zahlen präsentiert, die mit der Realität nur bei unscharfer Annäherung etwas zu tun haben. So heißt es – ausgerechnet! – unter der Rubrik Radio Darmstadt schafft Durchblick, der Verein habe nicht nur „etwa 600 Mitglieder“, sondern sein Sender verfüge zudem über „derzeit 16 Redaktionen“. Ein Blick in eine aktuelle Ausgabe des sender­eigenen Programm­flyers verrät uns, daß es derzeit neben den 14 gegründeten Redaktionen nur noch das dem Vorstand unterstellte „Offene Haus“ gibt. Wenn wir dann noch berücksichtigen, daß es 2006 noch eine Frauen­redaktion, eine Kinder­redaktion, eine Redaktion für das Morgen­magazin „Radiowecker“ und nach der Zerschlagung der Redaktion „Radiowecker“ sogar kurzzeitig eine Party­redaktion gegeben hat, dann schafft Radio Darmstadt mit seinem mehr als drei Jahre alten und somit auch veralteten Text wahrhaftig einen Durchblick, der mehr einem Tunnelblick gleicht.

Für diesen „Durchblick“ gibt es eine einfache Erklärung. Der Text wurde einfach abgekupfert. Und zwar aus dem Fundus der im Herbst 2006 abgeschalteten Webseite, die inhaltlich in weiten Teilen durch mich als damaliger Vorstand für Öffentlich­keits­arbeit gestaltet worden war. Damals stimmte die Angabe von „derzeit 16 Redaktionen“ genauso wie die Zahl der nicht als Kartei­leichen mitge­schleppten Mitglieder. Geradezu typisch für das bedenken- und sinnlose Abkupfern ist der Schlußsatz: „Wie du bei Radio Darmstadt senden kannst, erfährst du hier.“ Auf der ehemaligen Webseite war das Wort „hier“ mit einem Link zu weitergehenden Informationen verknüpft. Auf der „derzeitigen“ Durchblick schaffenden Webseite steht nur noch das Wort und nicht mehr der zugehörige Inhalt.

Beitragsmarke 2009.Aus gut informierten Kreisen wurde mir zugetragen, daß zur Mitglieder­versammlung am 8. Mai 2009 eine Reihe von „Mitgliedern“ eingeladen wurden, die zum Teil schon seit Jahren durch ihre Nicht­zahlung eines Mitglieds­beitrags zum Ausdruck gebracht haben, daß für sie das Kapitel „RadaR“ abgeschlossen ist. Selbst­verständlich werden diese Kartei­leichen vereins­intern mitgezählt und als aufgeplusterte Mitglieder­zahl verkauft. Befremd­lich ist hingegen, daß derartige Kartei­leichen auch eine Mitglieds­marke erhalten, die eigentlich nur Mitgliedern zugesandt wird, die den Mitglieds­beitrag für das Vorjahr entrichtet haben. Immerhin ist es schon mehrfach vorgekommen, daß Menschen, die außerhalb des Sende­gebiets gewohnt haben, Mitglied geworden sind, um in Besitz des Mitglieds­ausweises kostenfrei auf Konzerte eingelassen zu werden, und somit das Zusenden einer Beitragsmarke ohne Zahlung eines Mitgliedsbeitrags eine derart abzockende Mentalität fördert. Weiterhin sieht die Satzung des Vereins vor, daß Mitglieder, die trotz Mahnung mit ihrem Beitrag drei Monate in Rückstand bleiben, ausgeschlossen werden können. So wurde das auch in der Vergangen­heit gehandhabt, weshalb bis 2006 verkündete Mitglieder­zahlen auch verläß­lich gewesen sind.

Nehmen wir einmal an, ein unabhängiger Gutachter würde die Mitglieds­kartei des den Sender tragenden Vereins auf „echte“ Mitglieder hin durch­forsten und dabei das sehr groß­zügig angelegte Kriterium anlegen, als Mitglied gilt, wer nicht länger als zwei Jahre mit dem Beitrag in Rückstand ist, dann bin ich mir sicher, die Mitglieds­zahl läge bei 500 (oder darunter) und keineswegs bei „etwa 600“.

Es gibt weitere Indizien für einen absoluten Rückgang der Zahl der Hörerinnen und Hörer. So war der Sender bis Mitte 2006 tagsüber fast durch­gängig erreichbar. Tagsüber bildete die Redaktion „Radiowecker“ ihre Praktikantinnen und Praktikanten aus und betrieb hiermit eine Politik des offenen und kompetent besetzten Sendehauses. Hingegen präsentierte sich der Sender insbesondere 2007, aber auch später als tagsüber weitgehend nicht erreichbar. Nachdem ich den Zustand schon 2007 kritisiert hatte, daß eingehende Presse­mitteilungen per Fax oder E-Mail, aber auch eingehende Anrufe schlicht nicht angenommen, und wenn, dann nicht bearbeitet wurden, so wurde dies 2008 durch einen Mitarbeiter des Senders, der sich diesen Zustand lange genug angeschaut hatte, bestätigt. Eine derartige Hörerinnen- und Hörer-Nichtbindung muß Auswirkungen auf die Zahl der noch Zuhörenden haben.

Symptomatisch ist weiterhin, wie wenige Menschen den Sender während des laufenden Programms trotz mehrmaliger Aufforderung anrufen. Offen wird die Enttäu­schung über den Sender kommuniziert, daß keine und niemand anrufe. Das war einmal anders! Ich erinnere mich an eine Nacht­sendung der Redaktion „Alltag und Geschichte“, in der – ungeschönt! – binnen vier Stunden etwa siebzig Anrufe eingingen. Ohne Fake! Ohne daß jemand im Sender saß und so tat, von außen anzurufen. Ohne bestellte Anrufer. Im Medienalltag wird von eintausend Hörerinnen und Hörern pro Anruferin bzw. Anrufer ausgegangen. Somit enthält die Zahl der Sendungen ohne Anruf auch eine Aussage. Selbst wenn die genannten 70 Anruferinnen und Anrufer eine Ausnahme darstellen, so gibt es derzeit keine Sendung, die ein solches Potential besitzt. Allenfalls Techno-Sendungen für die Internet­gemeinde, die per Livestream zugeschaltet wird, ziehen ein Nischenpublikum an. Allerdings handelt es sich hierbei in der Regel um Personen außerhalb des Sende­gebietes, die die Sendungen über den Livestream mithören. Dieses Publikum gehört demnach nicht zu den Menschen, die ein Lokalradio in erster Linie ansprechen soll und will. Bezeichnend ist eine Veranstaltung zur „Nacht der Clubs“ im Sendehaus am 28. Dezember 2008 zu nennen. Trotz großartiger Promotion im Vorfeld kam am Abend kaum eine oder jemand ins Sendehaus, wie mehrfach enttäuscht on air zu vernehmen war. Radio Darmstadt scheint in Darmstadt keine Attraktion mehr zu sein.

Schauten beispielsweise 2003 und 2004 mehrere hundert Besucherinnen und Besucher bei der Langen Nacht der Musen vorbei, so ist seit Jahren trotz eigener Live-Acts keine dreistellige Zahl mehr erreicht worden. Den absoluten Tiefpunkt bildete 2007 die Musennacht, als mehr RadaR'ler als Gäste das Sendehaus bevölkerten. Ich war an diesem Abend im Sendehaus zugegen und habe mir diesen Sachverhalt von den wenigen Anwesenden bestätigen lassen.

Es gibt aber auch nackte Zahlen. Auf der im Oktober 2006 abgeschalteten Fassung der sender­eigenen Webseite, auf der noch weitgehende Informationen zum Sender, seiner Geschichte und seiner ehrlichen und ungeschminkten Außen­darstellung zu finden waren, waren hierzu Zahlen nachzulesen. Dort stand zu lesen, daß im Jahr 2000 durchgeführte Image- und Akzeptanz­untersuchung einen sogenannten „weitesten Hörerkreis“ (WHK) von sieben Prozent ergeben hatte. Als WHK wird die Zahl aller Hörerinnen und Hörer erfaßt, die im Verlaufe der letzten 14 Tage vor der Erhebung mindestens einmal den Sender eingeschaltet haben. Eine weitere repräsentative Befragung, durchgeführt im Rahmen eines Forschungs­projekts an der TU Darmstadt im Jahr 2004, ergab eine Verdopplung dieses Wertes auf vierzehn Prozent. Vorange­gangen waren intensive Bemühungen insbesondere der „bekannten Personen“, die nicht wenigen Mißstände abzustellen, die in der Studie von 2000 benannt worden waren. Dieser intensive Einsatz für die Qualität auf dem Sender wurde durch Haus- und Sendeverbote sowie Vereins­ausschlüsse in den Jahren 2006 und 2007 honoriert und konterkariert. Seither geht es eher bergab. Und das ist hörbar.

Markus Lang und Günter Mergel sind aufgefordert, Zahlen zu nennen. Worauf stützt sich die Rück­gewinnung alter und der Zugang neuer Hörerinnen und Hörer? Vor allem aber – wie hoch ist der Verlust seit 2004 in absoluten Zahlen? Da keine Reichweiten­untersuchung für die Zeit zwischen 2006 und 2009 vorliegt, ist die Behauptung der beiden Vorstands­mitglieder substanzlos. Ich habe in den letzten Monaten mehrfach dazu aufgefordert, eine solche Untersuchung durchzu­führen. Diese sollte selbst­redend von einem neutralen und von RadaR bzw. Radio Darmstadt unabhängigen Institut erstellt werden. Weshalb scheut man bei der LPR Hessen diesen Schritt?

Im übrigen ist auch aus dem Kreis der Sendenden häufiger die Vermutung zu vernehmen, daß ihnen kaum noch eine oder jemand zuhört. Dieser rein subjektive Eindruck spiegelt jedoch ein weitaus realistischeres Verhältnis zu sich und dem eigenen Sender, als dies beim offensichtlich abgehobenen Vorstand der Fall ist.

Behauptet wird, ehemalige, vergraulte Mitglieder hätten wieder den Weg ans Mischpult gefunden. Nun ist die Zahl derjenigen, die vor 2006 eine Pause eingelegt haben oder gar wegge­gangen waren, nach 2006 aber wieder auf dem Sender zu hören waren, eine überschau­bare. Genau gesagt: es sind meines Wissens nach sechs. Einer ging 2002, als er zur Teilnahme an der verpflichtenden Aus- und Weiter­bildung aufgefordert wurde. Eine wechselte nur die Redaktion und war lange Zeit aus beruflichen Gründen inaktiv. Einer wechselte die Redaktion und war bislang nur als Gasthörer am Mikrofon zu hören. Zwei waren ebenfalls aus beruflichen Gründen inaktiv und zu keiner Zeit durch die „bekannten Personen“ vergrault worden. Einer hatte eine Art Burn-Out, der mit der Vereins­politik nicht das geringste, mit seiner Motivation jedoch sehr viel zu tun hatte. Sollte ich hier eine Person vergessen habe, dann muß das diejenige sein, die – mir unbekannter­weise – vergrault wurde und die heute wieder sendet. Kurz gesagt: auch hierbei handelt es sich ja wohl eher um ein Märchen.

Den umgekehrten Fall erwähnen Günter Mergel und Markus Lang vorsichtshalber nicht. Es haben seit Herbst 2006 eine Reihe von Sendenden den Verein und den Sender verlassen, zum Teil mit der ausdrücklichen Begründung, die undemo­kratischen Zustände im Verein mit ihrer Mitglied­schaft und Sende­tätigkeit nicht decken zu wollen. Ein Vereins­mitglied, das sich zehn Jahre lang mit seinen Sendungen engagiert für die Belange von Menschen mit Behinderung eingesetzt hatte, schrieb im Dezember 2006:

„In einem Verein, der angeblich ein ‚offenes Bürgerinnen- und Bürger­radio‘ betreibt und gleichzeitig interne Auseinander­setzungen mit Zwangs­maßnahmen (Vereinaus­schlüssen und Hausverboten) gegenüber unbot­mäßigen Mitgliedern führt, kann und will ich nicht Mitglied sein bzw. aktiv sein.“

Daß die Sende- und Programmqualität zugenommen hat, ja sogar „stark zugenommen“ hat, kann von aufmerksamen Hörerinnen und Hörer nur milde belächelt werden. Zu den qualitativen Errungen­schaften in den Jahren seit 2006 zählen unzählige Hänger eines neuen Sendecomputers, der zum Teil stundenlang vor sich hingestottert hat. Mehr als ein Jahr lang lief eine neu installierte Sendeloch-Erkennung, die Sendelöcher erkannte, wo keine waren, dafür aber aufgrund spezieller technischer Ungereimt­heiten reale Sendelöcher ignorierte. Auch 2009 scheint es weiterhin Probleme mit dieser Technik zu geben, weshalb die Sendenden die aufgezeichneten Audiodateien als Wiederholungs­programm abspielen, die als Sende­dokumentation sechs Wochen lang vorrätig gehalten werden müssen.

Diese Aufzeichung erfolgt in Mono. In den Jahren vor 2006 wurde das zu wiederholende Programm grundsätzlich nicht in Mono, sondern in Stereo ausgestrahlt. Hier liegt eine eindeutig starke Verbesserung der Qualität vor.

Auch die Zahl von im Verlauf des Jahres 2008 von der Sendeloch-Erkennung registrierten mehr als 250 Sendelöchern erreicht vorher unbekannte Dimensionen. Wenn wir jedoch berücksichtigen, daß die Sendeloch-Detektion derart genial eingestellt wurde, so daß sie leise Passagen (also die „Dynamik“) einer Klassik-Sendung als Sendeloch erkennt und folgerichtig einen Brahms mit Popgedudel aufmotzt, dann müssen wir auch diese Zahl aus dem Hause RadaR mit einem gehörigen Schuß Vorsicht betrachten. Am 22. Februar 2009, also nur zwei Wochen vor dem Offenen Brief vom Steubenplatz, knallte die Sendeloch-Erkennung acht Mal mit Mainstream-Musik in eine laufende Klassik-Sendung hinein, obwohl die laufende Sendung qualitativ über jeden Zweifel erhaben war. Das läßt sich von der Qualität der seit 2006 eingebauten Features nun wahrlich nicht aussagen. Eher gewinnt man und frau den Eindruck, eine Laien­spiel­truppe habe sich der bis zu diesem Zeitpunkt professionellen Standards genügenden Technik des Sendehauses bemächtigt.

Zudem trat Ende 2006 eine Brummschleife in der Sendeleitung auf, die zuvor nicht registriert worden war. Mir liegen Aufzeichnungen von Sendungen aus den Jahren zuvor vor; da gab es sie noch nicht. Für besonders bemerkens­wert halte ich eine Aufzeichung aus dem März 2009, die sogar einen Hinweis auf drei voneinander unabhängige Brumm­schleifen bei der Ausstrahlung des Programms von Radio Darmstadt gibt. Sollte sich dies bewahrheiten, liegt eine klare „Verbesserung“ gegenüber nur einer Brummschleife vor, welche die Techniker des Vereins ja auch nicht bestreiten. Bleibt die Frage, weshalb es ihnen in zweieinhalb Jahren nicht gelungen ist, trotz weitgehender Neu­verkabelung ihrer Sende­leitungen diese Brummschleife still­schweigend zu entsorgen.

Die Klagen der Sendenden über nicht funktionierende Geräte nahmen ab Herbst 2006 überhand. Ein Sendestudio mußte sogar mehrere Monate aufgrund eines von den Technikern verursachten Kurzschlusses im Sende­mischpult stillgelegt werden. Ein Sendender rief sogar offen on air dazu auf, für Radio Darmstadt zu spenden, damit er einmal wieder ein vernünftiges Studio vorfinden könne. Die „überschaubare Zeit“ kann demnach nur sehr kurz gewesen sein und wäre zu benennen.

Screenshot der Audiodatei.Weiterhin muß festgehalten werden, daß durch eine innovative Digitalisierung der Leitungen von den Mischpulten zum Sendesignal selbiges auf eine Weise verfremdet wurde, die nun gewiß nicht als Qualitäts­verbesserung bezeichnet werden kann. Als ein auch für Außen­stehende verständ­liches Beispiel mag das im Mai 2008 implementierte innovative Feature eines Stereosignals gelten, der nur auf einem Kanal (in der Regel auf dem linken) gesendet wird. Auch wenn es unsinnig erscheinen mag, hierbei noch von einem Stereo­signal zu sprechen, so soll hiermit verdeutlicht werden, daß selbiges Signal beabsichtigt war, aber aufgrund der besonderen Kompetenz der innovativen Studio­techniker aufgepeppt, also: „stark verbessert“ wurde. Dieses Feature war noch zum Zeitpunkt des Offenen Briefes anzutreffen. Wenn wir berücksichtigen, daß das Sendesignal Anfang 2006 noch sauber und ohne störende Artefakte versendet wurde, kann hier nur von einer Qualitäts­verschlechterung geredet werden. Oder?

Programmlich ist festzuhalten: es gibt keine Frauen­redaktion mehr, keine Kinder­redaktion, und der Radiowecker war nach Zer­schlagung der entsprechenden Redaktion monatelang ein Torso und hat bis heute weder quantitativ noch qualitativ den Zustand vor 2006 wieder erreicht. Berücksichtigen wir, daß der Radiowecker immer schon das Sahne­stückchen des Senders gewesen ist, kann die behauptete starke Zunahme nicht belegt werden. Statt dessen grassiert der Plagiarismus auf dem Sender. Gewiß gehört es zur Verbesserung der Programm­qualität, wenn beliebige, zum Teil belanglose Internet­meldungen mit verteilten Sprechrollen vorgetragen werden. Immerhin beweisen so manche Sendende hiermit Lese­kompetenz. Bei anderen ist das Vorlesen schlicht eine Qual. Einige der noch ansprechenderen Vorlese­übungen entstammen im übrigen der Redaktion des Vorstands­mitglieds Markus Lang, deren lang­jähriger Redaktions­sprecher er war.

Eine genauer Vergleich des gesendeten Programms vor 2006 und danach läßt sogar den Schluß zu, daß thematische Sendungen zurück­gegangen sind und statt dessen mangels Inhalt mehr Musik gespielt wird. Ob dies als „starke“ Zunahme der Programm­qualität bezeichnet werden kann, wage ich dann doch zu bezweifeln.

Als wolle der Sender die beiden Autoren des Offenen Briefes Lügen über die starke Qualitäts­verbesserung strafen, spielten sich am 6. März, dem Datum der Veröffentlichung, auf dem Sender Szenen ab, die durchaus als normal zu bezeichnen sind. So vermeldete in einer Nachtsendung ein Redakteur, daß die Wiederholungen mal wieder nicht gehen würden, sprich: der zugehörige Computer nicht ansprechbar war. Statt dessen sendete er im Programm nicht vorgesehene zwei Stunden Techno. Die morgendliche Wiederholung des Vorabendprogramms begann mitten in der zu wiederholenden Sendung. Die zweite Wiederholung, die planmäßig um 14.00 Uhr zu hören sein sollte, wurde durch eine live vorgetragene Vorproduktion einer Kultursendung massivst gestört. Diese Sendung wurde dann am 18. März ausgestrahlt. Die für diesen Sendeplatz am 6. März eigentlich vorgesehene Sendung Medien Radar (eine Sendung u.a. des Vorstands­mitglieds Benjamin Gürkan) fiel ohnehin aus. Auch die Migrationssendung drei Stunden später wurde nicht sauber abgespielt, sondern statt dessen durch Musik und Sendeloch eingeleitet und erst später eingeblendet.

Selbst­verständlich sind derartige Pannen im Programm in einem nichtkommer­ziellen Lokalradio nichts Unge­wöhnliches. Genauso selbst­verständlich läßt sich hieraus keine, und schon gar keine starke, Qualitäts­verbesserung ableiten.

Screenshot des Ausbildungsangebots am 15.03.2009.Auch die Tatsache, daß die Zahl der internen Aus- und Weiterbildungs­seminare in den Jahren 2007 und 2008 im Vergleich zur den Jahren 2001 bis 2005 drastisch zurück­gegangen ist, sollte uns zu denken geben. Aus weniger Ausbildung und weniger Nachschulung läßt sich gewiß keine starke Zunahme der Qualität folgern. So befand sich noch am 22. April 2009 auf der Webseite des Senders als gerade „aktuelles“ Weiterbildungsangebot ein für den 25. Oktober 2008 angesetztes Schnitt­seminar (siehe neben­stehenden Screenshot). Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eben dieses Seminars beklagten sich anschließend auf der folgenden Mitglieder­versammlung darüber, daß der Teamer nicht in der Lage gewesen sei, ihnen das Wissen so zu vermitteln, daß sie es auch hätten verstehen können. Der von ihnen gewünschte fachlich kompetente Teamer wurde aus vereins­internen Gründen nicht zugestanden. So behindert eine undurch­sichtige Vereinspolitik eine sinnvolle Ausbildung und Qualitäts­verbesserung. Und dann noch eine Zahl zum Vergleich: in den Jahren von 2001 bis 2005 fanden in der Regel jeweils weit mehr als zwanzig derartiger Ausbildungs­einheiten statt, häufig und vor allem ohne derartige Klagen geleitet von den „bekannten Personen“. Bemerkens­wert ist die Einordnung des Weiterbildungs­angebots auf der sender­eigenen Webseite unter „Mitgliederservice“. Obwohl auch die Weiterbildungs­angebote durch die hessische Landes­medien­anstalt gefördert werden, scheinen sie nur den Mitgliedern des Träger­vereins vorbehalten zu sein. Die Tendenz zum Vereinsfunk wird hierdurch eindrucksvoll belegt.

Fazit: die Behauptungen im Offenen Brief von RadaR entbehren auch hinsichtlich Qualität und Hörerinnen­bindung der erforderlichen Substanz.

 

6. Der Programmrat

Ein Gremium, dessen Wichtigkeit immer wieder betont wird und der auch jetzt als Argument für Fortschritte in der friedlichen Kuschel­kultur herhalten muß, ist der Programmrat. Der Programmrat besteht aus den gewählten Sprecherinnen oder Sprechern der derzeit 14 Redaktionen. Ein statuten­widriger Beschluß verhindert, daß Redaktions­sprecher, die kein Vereins­mitglied sind, an den Abstimmungen teilnehmen dürfen. Man und frau will unter sich bleiben. Vereinsfunk.

Jahrelang wurde der Programmrat seitens des Vorstandes bedrängt, Maßnahmen zur Verbesserung der Programm­qualität zu beschließen und umzusetzen. Es war ein Kampf gegen Windmühlen. Erst auf massiven Druck hin wurden im September 2006 Sendekriterien verabschiedet, die Einfalt und Unsinn kombinierten. Das Image war alles, die redaktionelle Wahrheit mußte zurück­stehen (siehe Analyse). Diese Kriterien war irgendwann dann doch zu peinlich und wurden wieder zurückgezogen. Den meisten Sendenden waren sie ohnehin nicht bekannt. Im Januar 2008 kam Vorstands­mitglied Benjamin Gürkan auf die Programmrats­sitzung und diktierte neue Sende­kriterien. Selbige waren nicht ganz sinnlos, so daß hiermit durchaus so etwas wie eine Qualitäts­kultur hätte etabliert werden können. Geschehen ist jedoch auch im Jahr darauf nichts. Stattdessen verstoßen selbst derzeitige oder ehemalige Programmrats­mitglieder (oder ihre Stell­vertreter/innen) gegen diese Kriterien, die erkennbar nicht die eigenen sind.

Screenshot eines vorgelesenen Textes.Tolerant und gewaltfrei, wie der Programmrat nun einmal ist, toleriert er auf seinen Sitzungen mehrfach vorgetragene Aussagen wie „Du halbblinde schwule Sau.“ (ok, zugestandermaßen war das 2001, aber es zeigt, wie gewaltfrei es im Verein zugeht) oder eine Sendung wie In-Game, bei dem das virtuell gewalttätige Online-Rollenspiel „World of Warcraft“ einem jugendlichen Publikum nahe gebracht wird. Diese Spielshow zeichnet sich nicht nur durch die unkritische Verbreitung von virtueller Gewalt und Meuchelei aus, sondern auch dadurch, daß hierbei die gesendeten Inhalte, die aus fremden Internet­portalen stammen, ohne jede redaktionelle Bearbeitung einfach abgelesen werden. Die mit diesem Onlinemorden verbundene mentale Disposition scheint im Sender hoffähig zu sein. Das Muster ist einfach: man (seltener frau) baut sich einen Popanz, also ein aggressives Monster, auf, das es anschließend mit allen erlaubten und manchmal auch unerlaubten Tricks (sogenannten Cheats) zu bekämpfen gilt. Ähnlich­keiten mit dem realen Leben am Steubenplatz sind gewiß nur zufällig und zum Glück bislang auch nicht tödlich.

So meinten die Verantwortlichen des Vereins, für die Mitglieder­versammlung am 3. November 2006 einen Saalschutz zu benötigen, weil sie ihren Mitgliedern angesichts der von ihnen selbst mit angeheizten Stimmung wohl nicht so recht trauten. Die Security stand schon in Alarm­bereitschaft, während ich eine Erklärung vor den versammelten Vereins­mitgliedern abgab, und ich konnte meine Rede nur dadurch weitgehend ungestört zu Ende bringen, indem ich andeutete, daß, wenn mich einer dieser Security-Leute anfaßt, ich fünf Minuten später in der nahe­gelegenen Darmstädter Schloßwache eine Strafanzeige aufgeben werde.

Der Programmrat als ein im Grunde nutzloses Gremium wird im Offenen Brief vorgeschoben, um Dissent zu desavouieren. Auf Empfehlung der LPR Hessen hatte Dissent eine Redaktion gegründet, da RadaR auf der Grundlage eines Redaktions­modells lizenziert ist. Die Mitglieder­versammlung des Träger­vereins entscheidet über den Redaktions­status. Hierzu sieht das Redaktions­statut des Vereins bestimmte Voraussetzungen vor, die in früheren Fällen lax, um nicht zu sagen: sehr „tolerant“ gehandhabt worden waren. Dem Vorstand von RadaR ging seitens Dissent ein Papier zu, das die Vorgaben des Redaktions­statuts vollumfänglich erfüllte. Es hätte auf der Mitglieder­versammlung nur noch vorgestellt und abgestimmt werden müssen. Die Anwesenheit von Dissent-Mitgliedern war hierzu nicht erforderlich. Wer solch ein Papier lesen kann und verstehen will, ist klar im Vorteil.

Statt dessen wird nun im Offenen Brief der Programmrat eingeführt, der auf einmal kein schlüssiges Redaktions­konzept entdecken wollte. Wo kein Wille ist, ist bekanntlich kein Weg. Verschwiegen wird jedoch, daß der Programmrat mit der Redaktions­gründung nicht das geringste zu tun hat, und es von daher auch vollkommen schnuppe ist, was der Programmrat sich so ausdenkt. Meine eigene Erfahrung mit diesem Gremium ist eine Mischung aus – gelinde gesagt – Borniertheit und Ignoranz. Am augenfälligsten findet dies seinen bezeichnenden Ausdruck in den am 11. September 2006 verab­schiedeten Sendekriterien. Der erste und wichtigste Satz lautete hierin: „Jegliche Image­schädigung von Radar ist zu unterlassen.“ Was dieses Image ausmacht, weiß bis heute keine und niemand, weil es außer als Worthülse nirgends definiert ist. Vielleicht sind hiermit die Plagiate gemeint, also das Vorgaukeln redaktioneller Tätigkeit?

Bei der Sendetätigkeit, so heißt es weiter im Papier, sei zu versuchen:

„Beschimpfungen vermeiden, oder diese (wenn unbedingt notwendig) deutlich als ‚Kommentar‘ kennzeichnen.“

Ob derart on air gebrachte Beschimpfungen Teil der toleranten Kultur der Gewalt­freiheit von Radio Darmstadt sein sollen?

Halten wir fest: nicht die Redaktions­gründung war, wie behauptet, schlecht vorbereitet, sondern RadaR fand einen Weg, etwas auszusitzen, was man und frau partout nicht haben wollte.

 

7. Behinderungen

Geschickt leiten die Verfasser des Offenen Briefes mit einer rhetorischen Frage den Schwarzen Peter an Dissent weiter:

„Hindern wir also diese bekannten Personen am Radio machen? Nein, gewiss nicht!“

CD von Britney Spears.Das sehe ich aufgrund anderthalbjähriger Erfahrung mit dem Einreichen zwangsweise vor­produzierter CDs doch etwas anders. Zur behaupteten starken Zunahme der Programm­qualität gehört hier das Nicht­abspielen derart eingereichter Sendungen, mitunter das Abspielen erst auf telefonischen Protest hin, das zu späte und zu früh gestoppte Abspielen – und als Besonder­heit das, was ich das Minute 34-Syndrom genannt habe. Die CD-Player, auf welchen die eingereichten CDs abgespielt wurden, nahmen sich mangels ausreichender Wartung die Freiheit, pünktlich zur Minute 34 mal eine Minute vor, mal eine Minute zurück­zuspringen. Hierdurch wurde entweder eine Sende­passage doppelt gesendet oder unrettbar verschluckt. So etwas nennt RadaR dann ein „termingerecht zur Ausstrahlung […] bringen“. Trotz mehrfacher Aufforderung ist zu befürchten, daß derartige Vor­kommnisse auch in Zukunft möglich sind. Da bleibt einem nur mit Britney Spears zu sagen: Oops! I did it again.

Weiterhin ist anzumerken, daß Radiomachen nicht im Abdudeln vorproduzierter Sende-CDs besteht. Wenn die LPR Hessen wirklich dieser Meinung wäre, müßte sie die bestehenden sieben nicht­kommerziellen Lokalradios schließen und einen Podcastdienst eröffnen. Zum Hörfunk gehört jedoch zwingend der Livecharakter und die Möglichkeit, mit Studiogästen zu diskutieren oder mit Hörerinnen und Hörern telefonisch in Kontakt zu treten. Eine Vorproduktion im heimischen Wohnzimmer ist jedoch etwas ganz anderes. Das HPRG sieht solch einen Schwachsinn nicht vor.

Ausgesprochen schwach ist die Argumentation, die LPR Hessen habe ein ganzes Jahr lang diese angebliche Zugangs­offenheit geprüft. Hier wird einfach die Pressemitteilung der LPR Hessen vom 3. November 2008 abgeschrieben. Tatsächlich kann die LPR Hessen nicht überprüft haben, ob die Zugangs­offenheit bei Radio Darmstadt mittlerweile gegeben ist. Sie hätte unmöglich zu einer mit dem HPRG vereinbaren Befund der Zugangs­offenheit kommen können.

Es folgt im Offenen Brief die nächste rhetorische Frage:

„Haben durch die Hausverbote gesell­schaftliche Gruppen aus Darmstadt keinen Zugang mehr zum Radio? Radio Darmstadt deckt mit seinen 14 Redaktionen das gesamte Spektrum des politischen und kulturellen Lebens in Darmstadt ab. Redaktions­neu­gründungen sind jederzeit möglich.“

Offensichtlich sind sie es nicht, wie der Fall der Ablehnung einer Dissent-Redaktion eindrucks­voll bewiesen hat. Im übrigen haben durch die Hausverbote gesellschaft­liche Gruppen keinen Zugang zum Sender. Das schon angesprochene Hausverbot für den Pädagogen der Kinder­redaktion ist vielleicht das eindrücklichste Beispiel. Zudem decken die vierzehn Redaktionen gewiß nicht die komplette Vielfalt ab, auch nicht in Darmstadt, denn dann wären weitere Redaktionen über­flüssig. Ist schon die Behauptung aufgrund des Widerspruchs zweier aufeinander folgender Sätze unlogisch, so wird sie auch durch die Tatsachen widerlegt. Darmstadts Frauen besitzen in Darmstadts Lokalradio keine Lobby. Und eine Redaktion für Radiokultur, als die Dissent angetreten ist, wird man und frau bei Radio Darmstadt vergebens suchen. Man und frau könnte den Eindruck gewinnen, ein solches Ansinnen sei ohnehin unerwünscht.

„Vielfalt“ ist zudem ein Begriff, der keine Grenze kennt. Die Vielfalt ist da nicht erschöpft, wo Einzel­personen oder eine neue Gruppe neue Inhalte oder alte Inhalte mit neuer Ausrichtung füllen möchte. Wenn Radio Darmstadt mit seiner endlichen Vielfalt das Ende der Fahnenstange verkündet, dann erhebt der Sender ein Monopol auf die Meinungs­vielfalt. Angesichts dessen, was sonst noch so fehlt (Lokalpolitik, Lokal­nachrichten, Arbeitswelt, Gewerkschaften, …), ist dieser Anspruch absurd und zurückzuweisen.

 

8. Das Mischpult von Dissent

Am 3. Oktober 2008 wurde in Darmstadts Nobelkongreßhaus, dem Darmstadtium, der „Tag der Vereine“ begangen. Radio Darmstadt war anwesend und sammelte Stimmen ein, der Dissent Medienwerkstatt wurde der Zugang zum Mikrofon vorenthalten. Sie war mit einem eigenen Stand zwei Stockwerke höher zugegen und wurde von einzelnen RadaR-Mitgliedern auch aufgesucht. Das Vorstandsmitglied Markus Lang machte fleißig Fotos, um zu dokumentieren, daß Dissent doch ein eigenes Studio besitze. Mit diesem Wissen argumentiert der Vorstand von RadaR in seinem Offenen Brief, wenn er schreibt:

„Die Möglichkeiten für Dissent aus einem eigenen Studio zu senden bestehen durchaus, wie man eindrucksvoll am 03. Oktober 2008 beim Tag der Vereine im Darmstadtium besichtigen konnte. Dort war Dissent mit einer modernen, mobilen Studio-Einheit zugegen.“

Dissent beim Tag der Vereine.Weshalb versteift sich der Vorstand von RadaR darauf, Dissent könne doch aus einem eigenen Studio senden? Man würde sogar ein ISDN-Übertragungsgerät stellen. Auf konkrete Nachfrage mußten dann jedoch die Vertreter von RadaR, hier: Günter Mergel und Markus Lang, eingestehen, daß seitens RadaR keinerlei Vorkehrungen hierfür getroffen waren. Essentielle Fragen hinsichtlich der zu schaltenden Leitungen waren nicht einmal im Ansatz gelöst.

Hierzu paßt, daß im Januar 2009 einer der Techniker des Vereins hände­ringend um Hilfe in einem einschlägigen Forum ersucht hat. Aus der von ihm verfaßten Fragestellung geht eindeutig hervor, daß er das Problem nicht erfaßt hat. Weshalb er seine Kollegen im Radio nicht fragt, wäre eine eigene Frage­stellung wert. Kommunizieren die Herren nicht miteinander? Oder bekommt Herr F. von seinem Boß bei dummen Fragen ganz tolerant (natürlich nur verbal) eins auf die Ohren, so daß er lieber unverfäng­lich Techniker aus den virtuellen Welten des Internets für sich denken läßt? Früher gab es in den Räumen von Radio Darmstadt sogar einmal eine Betriebs­anleitung für dieses Gerät. Dort hätte er die Antwort auf seine Frage problemlos nachschlagen und sogar finden können.

Nun ist es ohnehin unerheblich, ob Dissent über ein eigenes Sendestudio verfügt. RadaR e.V. erhält von der LPR Hessen Fördermittel, um die Zugangs­offenheit, die im HPRG und der Sendelizenz vorgeschrieben sind, herstellen zu können. Daraus ergibt sich die Verpflichtung des Lizenz­nehmers, das Sende-Equipment vorrätig zu halten, und nicht, von sendenden Nicht­vereins­mitgliedern einzufordern, eigenes Equipment zur Verfügung zu stellen. Das Angebot, per ISDN-Außen­übertragungen vom heimischen Herd eine Sendung zu fahren, ist so absurd wie der gesamte Offene Brief. Es scheint so, als wäre sich RadaR e.V. der Grundlagen der eigenen Sendelizenz nicht bewußt. Der Skandal liegt für mich jedoch darin, daß die LPR Hessen dieses mit der bestehenden Sendelizenz nicht zu vereinbarende Verhalten und Handeln toleriert und zudem Mitteln aus dem Rundfunk­gebühren­aufkommen fördert.

Die freien und nicht­kommerziellen Lokalradios im Bundesgebiet verfügen meines Wissens über Strukturen und Personen, die sicherstellen, daß auftretende Probleme, Fehler, ja Mißstände auch ohne gutes Zureden ihrer jeweiligen Landes­medien­anstalt baldmöglichst und effektiv angegangen und beseitigt werden. Die Vorkomm­nisse bei Radio Darmstadt seit Mitte 2006 lassen an der Fähigkeit und Kompetenz in diesem Punkt mehr als nur Zweifel aufkommen. Wer meine Dokumentation zu diesen Gescheh­nissen aufmerksam durchliest, kann eigentlich zu keinem anderen Schluß gelangen.

Schließlich noch eine Bemerkung zur Mitarbeit von Dissent-Mitgliedern im Programmrat: ich, obwohl Redaktions­sprecher, darf das nicht. Ich habe ein Hausverbot. Und laut geltender, und im übrigen mit dem Redaktions­statut nicht über­einstimmender Beschlußlage des Programmrats darf ich als Nicht­mitglied des Vereins auch nicht im Programmrat mitbestimmen. Eine solche „Mitarbeit“ ist – ein Witz; und zeigt, worum es geht: Außen­stehende effektiv herauszuhalten.

 

Kurz zusammengefaßt

Die im Offenen Brief von RadaR e.V. verbreiteten Behauptungen halten einer genaueren Über­prüfung nicht stand. In der Regel sind sie nicht einmal durch Fakten belegt. Es handelt sich um eine reine Image­kampagne. Mehr hat der Sender zur Zeit wohl auch nicht zu bieten.

 

Nachtrag

Die LPR Hessen berichtete am 25. Januar 2011 an die Hessische Staatskanzlei, der Verein Radar e.V. habe in einem offenen Brief an die Mitglieder der Versammlung der LPR Hessen „nachvollziehbar begründet“, weshalb die Mitgliederver­sammlung des Vereins einer Redaktionsgründung „Dissent“ nicht zugestimmt habe. Da frage ich mich, was die Mitglieder dieser Versammlung unter dem Terminus „nachvollziehen“ verstehen mögen. Unter der Voraussetzung, daß dem erlauchten Gremium der LPR Hessen dreißig Vertreterinnen und Vertreter angeblich oder tatsächlich gesellschaftlich relevanter Gruppen angehören, also dem Mainstream der Gesellschaft, kann „nachvollziehen“ eigentlich nur bedeuten, daß der Mainstream untereinander eine Sprache pflegt, deren Belanglosigkeit und Beliebigkeit eben nachvollziehbar ist. Irgendeine Relevanz läßt sich dieser Aussage hingegen nicht entnehmen; die Mühe, diesen offenen Brief textkritisch zu betrachten, schon gar nicht. Aber Textkritik kommt beim Mainstream ja auch nicht vor. Wie ein derartiges Gremium dann medienkompetent über Medienkompetenz beraten und entscheiden will, entzieht sich meinem Vorstellungsvermögen.


Die vorliegende Fassung dieses trägt die Versionsnummer 1.13. Der Text wird bei Bedarf überarbeitet und ergänzt werden.

Diese Seite wurde zuletzt am 9. Mai 2011 aktualisiert. Links auf andere Webseiten bedeuten keine Zustimmung zu den jeweiligen Inhalten, sondern sind rein informativer Natur. ©  Walter Kuhl 2001, 2009, 2011. Die Wiedergabe, auch auszugsweise, ist nur mit dem Einverständnis des Verfassers gestattet.

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