Zwischen Kirche und Theater
Der Ort der Illusionen zwschen Kirche und Theater.

Radio Darmstadt

Tausche Tand gegen Likes

Dokumentation

Radio Darmstadt ist ein nichtkommerzielles Lokalradio. Sein Trägerverein wurde 1994 gegründet, um eine Alternative und Ergänzung zu den bestehenden öffentlich-rechtlichen und privaten kommerziellen Hörfunksendern aufzubauen. Menschen und Nachrichten, die im ansonsten durchformatierten Sendebetrieb keine Chance auf Öffentlichkeit besaßen, sollten hier ihren Platz finden. Dies galt für politische Fragen, lokale Themen und musikalische Nischen. Ende 1996 erhielt der Verein für ein derartiges Programm die Sendelizenz. Zehn Jahre später ließ sich als Tendenz beschreiben, daß (lokal)politische Themen immer weniger Platz im Darmstädter Lokalradio finden, während die Musikberieselung zunimmt. Zu diesem Wandel gehört, daß Fragen der Außendarstellung ein wesentlich größeres Gewicht erhalten als das Verbreiten journalistisch nützlicher Tatsachen.

Der Autor dieser Dokumentation war 1997 bis 2012 Redakteur bei Radio Darmstadt und erfreute sich von Januar bis Oktober 2007 eines nur aus dieser Umbruchssituation zu verstehenden, binnenpolitisch motivierten Sendeverbots. Nachdem das Sendeverbot nicht länger aufrecht erhalten werden konnte, wurde es flugs in ein Hausverbot umgewandelt, das erst nach zähem Kampf aufgehoben wurde.


Worum es auf dieser Seite geht

Der Facebook-Auftritt von Radio Darmstadt verrät eine ganze Menge über die Befindlichkeiten im Sendehaus. Zur Weihnachtszeit paßt sich der Sender dem allgemeinen Trend an, Hörerinnen und Hörer nicht etwa mit qualitativem Programm, sondern mit Werbegeschenken zu gewinnen. Was bei Kommerzsendern wenig verwundert, sollte bei einem sich als nichtkommerziell gerierenden Lokalradio nicht vorkommen.


Die von großen und kleinen und häufig nicht einmal geklebten oder aufgehängten Plakaten begleitete sexistische Werbekampagne des Senders im September und Oktober 2014 belegte einmal mehr, daß sich dieses Lokalradio mitten in einer männlich konnotierten Gesellschaft bewegt. Als die Kritik an diesem selbst für Radar-Verhältnisse peinlichen Werbeauftritt großer wurde, sahen sich die Verantwortlichen genötigt zu versichern, sie hätten nur das Beste gewollt und niemanden verletzten wollen. Doch der Blowjob von Radio Darmstadt ist das Thema einer anderen, wesentlich ausführlicheren Darstellung auf meiner Webseite.

Zu Dezember gehören Adventskerzen und Weihnachtslieder und vor allem viel gefühlsduselige Musik auf allen Frequenzen. Und natürlich Geschenke. Geschenke schaffen und erhalten Freundschaften, die ohne selbige weder geschlossen noch erwünscht gewesen wären. Aber man und frau scheint im Sendehaus nicht wählerisch zu sein. Der Facebook-Auftritt des Senders lebt vom Gemochtwerden und nicht von der Präsentation eines ausgefallenen Radioprogramms. So war es wenig verwunderlich, als kurz vor Ende des Jahres 2014 allerlei Geschenke verteilt werden sollten.

Außer mehr oder weniger praktischen blauen Umhängetaschen mit dem Logo des Senders, die sich nun nicht gerade großer Beliebtheit zu erfreuen scheinen, denn im Straßenbild sehe ich nur ganz selten eine davon, waren es vor allem DVDs und andere Utensilien, die vermutlich im Jahresverlauf in der Sendung „Film Radar“ als Ladenhüter liegengeblieben waren. Es mag ja sein, daß eine oder jemand Schneewittchen in der Diamond Edition benötigt oder sich ganze Filme in nur fünf Sekunden reinziehen will. Insgesamt betrachtet ist der Nutzen gering, aber für allerlei Schnäppchenjäger, die alles abstauben, was der Markt so hergibt, ein gefundenes Fressen. Ich sage mal, viel mehr als Tand ist das nicht.

Wie bei allen anderen Radioprogrammen, die anders sein wollen als andere, bedient auch Radio Darmstadt sein Publikum damit, anders sein zu wollen und nur DEINE Musik zu spielen. Es soll ja immer noch Vereinsmitglieder geben, vor allem solche, die ihrem Sender auch nach vielen ungehörten Jahren die Treue halten, die sich der Illusion hingeben, Radio Darmstadt sei eine Alternative zu bestehenden Radioprogrammen. Das war der Anspruch von Mitte der 90er Jahre, aber mit der heutigen Realität hat er nichts mehr gemein. Da werden die Werbeartikel des Filmbusiness ganz unverhohlen unters Volk verteilt, das damit angefixt und selbstverständlich zu weiteren Käufen und Kinobesuchen animiert wird. Ist das schlecht? Anders gefragt: Ist es gut, wenn wir den Lebenssurrogaten des Musikbusiness und der Filmindustrie nachhecheln, wo es auf dieser Welt überall brennt?

Doch die Verantwortlichen haben vor dem Geschenkeverteilen noch eine Pflichtaufgabe gesetzt. Es galt zwar nicht, ein vielleicht gar schwieriges Rätsel zu lösen, denn damit bekommt man oder frau den Tand ja nicht entsorgt. Also animieren sie ihr Facebook-Publikum zum Liken. Nur wer Radio Darmstadt mag, ist artig und erhält ein Geschenk: „Und da ist es wieder, das alljährliche Radio Darmstadt Weihnachts­gewinnspiel. Mit freundlicher Unterstützung von Film-RadaR könnt ihr wieder viele Preise abstauben. Alles was ihr dafür tun müsst, ist diesen Beitrag zu liken und mit euren Freunden zu teilen.“ Oh, sie an! Andere, die sogenannten Freunde, sollen auch angefixt werden. Die Einstiegsdroge der Filmindustrie wird alsdann unter den Likenden vertickt. Und die Kinder des Neoliberalismus tun, wie ihnen geheißen, und liken dutzendfach. Die Crew von „Film-Radar“ alias Ramon Rößler (FDP) und Markus Lang (Greenpeace) wird es gefreut haben.

Passend sind dann auch die Kommentare zum Event, etwa dieser hier: „Cool endlich mal was gewonnen bei den scheiß Facebook Gewinnspielen hier!“ Ich sag's doch: Schnäppchenjäger. Daß der Bezug zum Radioprogramm eher minimal sein und bleiben dürfte, verrät einer der Gewinner, der freundlicherweise seine Adresse im hintersten Thüringen mitteilt. Aber es geht nicht wirklich darum, Hörerinnen und Hörer zu gewinnen, sondern im Gespräch zu bleiben. Denn die Sendelizenz ist zeitlich begrenzt und dann sind viele Likes als Unterschriften­karteileichen natürlich ganz nützlich, um gesellschaftliche Akzeptanz zu surrogieren, sobald die Neulizenzierung ansteht.

Nachzulesen ist dieser an das Verschenken von Glasperlen erinnernde Tausch von Tand gegen Likes auf der Facebook-Seite von Darmstadts Lokalradio.


Diese Seite wurde zuletzt am 6. Januar 2015 aktualisiert. Links auf andere Webseiten bedeuten keine Zustimmung zu den jeweiligen Inhalten, sondern sind rein informativer Natur. ©  Walter Kuhl 2001, 2015. Die Wiedergabe, auch auszugsweise, ist nur mit dem Einverständnis des Verfassers gestattet.

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