Hartwin Brandt und Frank Kolb : Lycia et Pamphylia
Eine römische Provinz im Südwesten Kleinasiens
Hartwin Brandt und Frank Kolb : Lycia et Pamphylia, Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2005, 146 Seiten, € 41,00 [damaliger Originalpreis].
Jahr für Jahr lädt die Südküste der Türkei zu unbeschwertem Urlaub mit viel Sonne und noch viel Meer ein. Das Versprechen mannigfaltiger kultureller Folklore unterschlägt nicht nur die wirtschaftlichen Probleme, mit denen die meisten Türkinnen und Türken zu kämpfen haben, sondern auch das damit verbundene politische Klima. Kurdistan ist zwar weit weg, und doch ist es nicht außerhalb der Welt. Mag sein, daß sich der repressive Charakter der neoliberalen Militärdemokratie dort am deutlichsten zeigt. Doch auch in der modernen Türkei, die vor allem in Istanbul und Izmir vorzufinden ist, werden Oppositionelle überwacht, eingesperrt, gefoltert und zuweilen auch getötet – mit Anstiftung, Wissen und Billigung der dortigen Behörden.
Wenn wir uns hingegen klar machen, daß es nur ein Menschenrecht gibt, nämlich das auf ungehemmte wirtschaftliche Entfaltung auf Kosten und zu Lasten Anderer, dann ist das alles gar nicht so seltsam oder gar unverständlich. Es ist sozusagen das Geschäftsprinzip eines aufgeklärten neoliberalen Drittweltlandes. Und gerade die Südküste der Türkei ist ein sehr augenfälliges Beispiel dieses Geschäftsprinzips. Laden grenzt an Laden, aber alle bieten mehr oder weniger dasselbe feil. Der Euro ist nicht nur offiziell akzeptierte Parallelwährung, sondern er verdrängt die türkische Lira. Der Geldumtausch vor Antritt der Urlaubsreise erweist sich als vollkommen überflüssig.
Vor Ort kann so ein Urlaub jedoch eine gewisse Eintönigkeit hervorrufen. Jeden Tag am selben Strand zu liegen und dieselben Läden abzuklappern, ist wenig befriedigend. Aktionismus ist angesagt. Wer es also schon in Deutschland versäumt hat, hier vorzusorgen und das Pauschalangebot durch Erlebnistouren anzureichern, kann dies spätestens vor Ort nachholen, wobei die Angebote sehr unterschiedlicher Qualität sein können. Eines dieser Angebote besteht im Abklappern diverser archäologischer Stätten, wobei es diejenigen etwas bequemer haben, die ohnehin in Side untergekommen sind, weil hier die Ruinen frei Haus mitgeliefert werden.
Die Südküste der heutigen Türkei ist uraltes Kulturgebiet. Auch wenn es sich nicht so einfach bestimmen läßt, ab welchem Zeitraum wir mit einer permanenten Besiedlung rechnen müssen, so ist dennoch erkennbar, daß schon zu Ende der Jungsteinzeit, also im 4. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung, dieser Küstenabschnitt bewohnt gewesen ist. Die Einflüsse der anatolischen Kultur sind unübersehbar, und diese Einflüsse dürften auch nach Kreta und auf das griechische Festland ausgestrahlt haben.
Historisch faßbar wird die Geschichte dieser Region, die von Lykien im Westen über Pamphylien in der Mitte bis Kilikien im Osten reicht, erst mit den Hethitern im 14. und 13. Jahrhundert. Das Vizekönigreich Tarchuntassa reichte bis zur lykischen Ostgrenze, dahinter lebten nach hethitischer Vorstellung unbezähmbare Barbaren, denen man ab und zu per Strafaktion klarmachen mußte, wer Herr im Haus ist. Daß hierbei gleichzeitig Wirtschaftsgüter und Sklaven geraubt werden konnten, machte derartige Expeditionen durchaus attraktiv. Sich die Hethiter als eine relativ friedliche und zivilisierte Gesellschaft im Geflecht kriegerischer Konkurrenten vorzustellen, ist sicherlich übertrieben, auch wenn manches Indiz dafür spricht, daß die hethitische Gesellschaft nicht ganz so brutal wie der Standard der damaligen Zeit war.
Der Zusammenbruch des Hethiterreiches zu Beginn des 12. Jahrhunderts hinterließ jedoch nicht nur Ödnis. Gerade im Süden und in Syrien finden wir noch Jahrhunderte später hethitische Kleinkönigtümer vor, ehe die Phryger und Griechen im Westen und die Assyrer im Osten dem Ganzen ein Ende bereiteten. Von griechischer Kolonisation der türkischen Südküste wissen wir seit dem 7. Jahrhundert, doch erst nach Alexanders Siegeszug gegen das Perserreich der Achämeniden wurde hieraus bleibend griechisches Territorium.
Das aufstrebende Imperium Romanum beendete dieses Intermezzo jedoch bald, Ende des 2. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung war die türkische Südküste in römischer Hand oder von Rom abhängig. Dies führte im Laufe der Jahrhunderte zu einigen bemerkenswerten Umgestaltungen der ehemals griechischen Städte, die dennoch einen eigenen Charakter behielten. Der Siegeszug des Christentums im 4. Jahrhundert gestaltete das Stadtbild neu – aus Tempeln wurden Kirchen.
Die Bustouren zu den Ruinen, aber auch die individuellen Wanderungen durch unwegsames Gelände erschließen nur einen Teil dieser Geschichte, nämlich den, der sich in Fundamenten, Säulen und Theatern widerspiegelt. Die Erklärungen vor Ort sind oft dürftig und auch die Erklärungen der Reiseführerinnen und Reiseführer sind standardisiert und nur begrenzt hilfreich.
Ein tieferes Verständnis für die Geschichte der Region kann hier nur bedingt aufkommen, und genau hier setzt das Buch der beiden Althistoriker Hartwin Brandt und Frank Kolb über Eine römische Provinz im Südwesten Kleinasiens aus dem Verlag Philipp von Zabern an. Es heißt etwas sperrig Lycia et Pamphylia und bezieht sich auf die administrative Bezeichnung der Region in der römischen Kaiserzeit, also vom Ende des 1. Jahrshunderts vor unserer Zeitrechnung bis in die byzantinische Zeit nach der endgültigen Aufteilung des Imperiums Ende des 4. Jahrhunderts in einen westlichen und einen östlichen Reichsteil.
Es mag für uns heute seltsam anmuten, daß die Römer zwei so unterschiedliche Gebiete wie Lykien und Pamphylien in einer Provinz zusammenfaßten. Beim westlich gelegenen Lykien handelt es sich um eine kleinräumig gegliederte bergige Landschaft, die von den großen Verkehrsströmen eher abgeschnitten war. Im Gegensatz dazu entstand das östlich gelegene Pamphylien aus den Schwemmablagerungen der dem Taurusgebirge entspringenden Flüsse; und auch heute sind Gewitter an der Südküste aufgrund des donnernden Echohalls ein eindrucksvolles Erlebnis. Jedenfalls war Lykien wesentlich selbstgenügsamer als Pamphylien, das eher exportorientiert wirtschaftete und sich demnach eher dem Fernhandel und den damit verbundenen kulturellen Einflüssen öffnete.
Dennoch ist Lykien die wesentlich besser erforschte Landschaft, was sich im Band von Hartwin Brandt und Frank Kolb deutlich bemerkbar macht. Die aus einem langjährigen universitären Tübinger Forschungsprojekt gewonnenen Erkenntnisse vermitteln uns hierbei eine Menge über Siedlungsstrukturen, lokale Wirtschaftsgeschichte und die politische Organisation der Städte. So gibt es bis etwa zur Zeitenwende kein Indiz dafür, daß die hellenisierten Poleis eine Ratsversammlung nach griechischem Vorbild besaßen.
Womöglich erst unter römischem Einfluß wurden bestimmte Polis-Strukturen eingeführt, wobei einschränkend zu sagen wäre, daß sie unter dem Mantel griechischer Benennungen eher lokale Traditionen weiterführten. Die Eliten des damaligen Lykien wußten sich demnach anzupassen, ohne ihren Zugriff auf wirtschaftliche Ressourcen oder politische Macht zu verlieren. Von einer inneren Demokratie im Sinne Athens kann jedenfalls nicht die Rede sein. Die Verleihung politischer Ämter war meist mit einem gewissen Vermögen verbunden, da von einem Amtsinhaber erwartet wurde, daß er auf eigene Kosten seine Amtstätigkeit mit Bauten, Wohltaten oder Spenden ausführte und dokumentierte. Auf diese Weise konnte die herrschende Klasse beider Landschaften ihre Macht jahrhundertelang relativ unbedrängt aufrecht erhalten.
Als interessantes Detail mag hier zu nennen sein, daß die lykische herrschende Klasse nicht sonderlich viel Wert auf das römische Bürgerrecht gelegt hat, obwohl dieses nicht nur Prestige, sondern auch Teilhabe an der Macht im Imperium versprach. Umgekehrt sorgte diese Zurückhaltung auch dafür, daß sich die römische Herrschaft nur beschränkt in die inneren Angelegenheiten der jeweiligen Städte einmischte. Solange die Städte ihre Steuern und Abgaben zahlten, konnte es der römischen Herrschaft relativ egal sein, wie die lokalen Eliten dies bewerkstelligten. Hauptsache, es gab keinen Aufruhr und die Polis blieb loyal dem Imperium zugewandt.
Wir können sicher davon ausgehen, daß eine derart etablierte politische und wirtschaftliche Macht sich ihre eigenen Grundlagen zur Prachtentfaltung schuf. Da jeder Reichtum durch die Ausbeutung natürlicher Ressourcen und menschlicher Arbeitskraft entsteht, sollten wir die Wohltäter nicht allzu wohlwollend betrachten, sondern eher danach fragen, wer dafür bluten und schuften mußte. Der hierbei verschwendete Reichtum ist angesichts einer Einwohnerzahl von vielleicht 1.000 bis 5.000 in den lykischen Städten gewiß als enorm anzusehen, und doch standen den pamphylischen Städten der Ebene bei Einwohnerzahlen von mehreren zehntausend Menschen noch ganz andere Ressourcen zur Verfügung.
Bemerkenswert ist, daß die lykischen Städte trotz ihrer geographischen Trennung in der Regel zusammen arbeiteten, während die pamphylischen Städte vor allem durch die Konkurrenz von Side und Perge geprägt wurden. Attaleia, das heutige Antalya, ist hingegen eine relativ späte Gründung des Königs Attalos II. von Pergamon aus der Mitte des 2. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung; und es war auch lange Zeit nur von zweitrangiger Bedeutung. Die griechischen und römischen Hinterlassenschaften Attaleias liegen unter der heutigen Altstadt von Antalya, nur wenige Reste sind hier sichtbar. Für eindrucksvolle Ruinen muß man und frau dann nach Termessos, Perge, Aspendos oder das frei begehbare Side fahren.
Hartwin Brandt und Frank Kolb geben uns mit ihrem Band über Lycia et Pamphylia eine umfassende Übersicht über den heutigen Kenntnisstand der Wirtschaft, Politik und Kultur dieser Region in der römischen Kaiserzeit. Das Buch wendet sich eher an wissenschaftlich Interessierte und wäre sicherlich eine unbekömmliche Kost für normale Touristinnen und Touristen, die sich einen historischen Überblick über ihr Feriengebiet verschaffen wollen. Als wissenschaftlich fundierter background für die sichtbaren Überreste, der über den Gehalt von Reiseführern weit hinausgeht, ist dieser Band jedoch für historisch und archäologisch Interessierte ein Muß.
Der Band ist mit 176 Abbildungen reich bebildert. Und doch erschließt sich mir der Sinn manchen Fotos und des darauf abgebildeten Details für den im Text entwickelten Gedankengang nicht unbedingt. Allerdings sollten wir hier relativierend berücksichtigen, daß vor dem Zeitalter der Digitalkamera das Fotografieren vom vorhandenen Bildmaterial abhängig war und daher ein nicht ganz so großer Bildfundus zur Verfügung stand. Es macht schon einen erheblichen finanziellen Unterschied, mehrere hundert Fotos auf einem kleinen Speicherchip oder auf Filmrollen aufzuzeichnen. Das eine fördert die Beliebigkeit der Aufnahmen, das andere schränkt den Detailreichtum ein.
Das Buch umfaßt 146 großformatige Seiten mit mehreren sehr ausführlichen, aber zuweilen leider ziemlich stark verkleinerten Übersichtskarten. Das ist sicher unvermeidlich, will man und frau nicht aufklappbare Kartenmonster betrachten, aber es ist deshalb auch nicht sehr augenfreundlich.
Walter Kuhl
17. Juni 2007
gesendet am 30. Januar 2008 bei Radio Darmstadt